PuR Fachtagung
26. Juni 2023
Podiusmdiskussion: Sechs Monate Mehrwegangebotspflicht in Deutschland – eine Zwischenbilanz
Eva Katharina Hage (Verbraucherzentrale Berlin e.V.), Gerhard Kotschik (Umweltbundesamt), Anika Oppermann (Mehrwegverband Deutschland e.V.), Patrick Rothkopf (DEHOGA Nordrhein e.V.) und Henning Wilts (Wuppertal Institut) diskutierten verschiedene Aspekte und Herausforderungen der seit Januar 2023 geltenden Pflicht für Anbieter*innen von To-Go-Gerichten oder -Getränken, mehrwegfähige Behälter anzubieten.
Dabei gibt es nach Ansicht der Panelist*innen einige Baustellen: der Informationsfluss ist sowohl auf Verbraucher*innen- als auch auf Betriebsseite mangelhaft und es fehlt an Werbung für Mehrwegangebote. Das Fehlen geeigneter Mehrwegsysteme und Rückgabestrukturen sorgt für Frustration bei Verbraucher*innen und Mitarbeitenden der Gastronomie, die mit der direkten (Nicht-)Umsetzung konfrontiert werden. Repräsentative Umfragen könnten hier Abhilfe schaffen, indem sie den konkreten Handlungsbedarf ermitteln und die Verbraucher*innen in die politischen Entscheidungsprozesse einbeziehen. Kritisiert wurde auch die fehlende Umsetzungspflicht für Mehrweg und die Ausnahmeregelungen für kleinere Betriebe (unter 80qm). Es fehlt zudem an verlässlichen Zahlen, die belegen, welche Betriebe sich der Mehrwegangebotspflicht entziehen. Schlupflöcher führen zur vermehrten Verwendung von alternativen Einweglösungen (z.B. aus Pappe), so die Annahme. Neben einer Hinweispflicht fehlen wirksame Kontrollen, was wiederum zur mangelnden Umsetzung des Gesetzes beiträgt. Vor allem gibt es aber zu wenig Anreize für den Einsatz von Mehrweg. Dabei ist es unerlässlich, die Nutzungsintensität von Behältern zu steigern, um einen positiven Effekt für die Verpackungsvermeidung zu erreichen.
Demgegenüber stehen allerdings auch positive Entwicklungen: Zur Unterstützung motivierter Betriebe, die die Mehrwegangebotspflicht bereits umsetzen, wurde vorgeschlagen, die Komplexität und Vielzahl der Pool-Systeme zu reduzieren und systemoffene Rückgaben zu ermöglichen. Auch Rabattierungen für eine gesetzliche Einwegabgabe wurden als Lösung vorgeschlagen. Jedoch zeigen Erfahrungen, dass geringe Abgaben keinen Einfluss auf die Mehrwegquote haben. Der vorgeschlagene Lösungsansatz einer Einweg-Kunststoffsteuer sei aufwendig für die Betriebe, da diese von den Kommunen einzeln erhoben werde; unbürokratische Lösungen scheinen dagegen besser.
So notwendig das aktuelle Gesetz ist, so problematisch sind Insellösungen; momentan gibt es viele Mehrweganbietende auf dem Markt. Um einen Flickenteppich zu vermeiden, muss es gelingen, die Transaktionskosten für die Umsetzung des Mehrwegangebots (z.B. durch Standardisierung) so weit zu senken, dass die Unternehmen aus eigenem Interesse auf Mehrweg setzen. Auch für die Konsument*innen sollte die Nutzung von Mehrweg einfacher gestaltet werden. Um echte Anreize zu setzen, muss Mehrweg günstiger sein als Einweg, bilanzierten die Panelist*innen. Es wurde aber auch eingelenkt, dass mit der Mehrwegangebotspflicht ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung getan sei – Gesetze seien immer Kompromisse.
Aus dem Publikum wurden weitere wichtige Aspekte angesprochen, wie die Rolle der Gesundheit bei Einwegverpackungen und die Umsetzung der Mehrwegangebotspflicht in bestimmten Branchen (z.B. Kinos). Die Diskussion schloss mit einer Rundschau über die offenen Baustellen und den diskutierten Lösungsansätzen und leitete einige Forderungen ab. Für die bessere Umsetzung des Mehrwegangebots braucht es demnach systemübergreifende Mehrwegsysteme mit einheitlicher Pfandausgabe und -rücknahme, konkrete und nachvollziehbare Vermeidungsziele, finanzielle Anreize, Komplexitätsreduzierung und zielgerichtete Kommunikation, eine faire Lastenverteilung zwischen Anbieter*innen und Verbraucher*innen sowie die Berücksichtigung benachteiligter Gruppen. Die Umsetzung dieser Faktoren kann langfristig dazuführen, den Vor-Ort-Verzehr ausschließlich in Mehrweg anbieten zu können und damit Verlagerungen zu Takeaway-Verpackungen aus anderen Materialien wie Pappe von vornherein vorzubeugen. Insgesamt hat die Podiumsdiskussion gezeigt, dass die Transformation vom Einweg- zum Mehrwegsystem im Bereich der To-Go-Angebote für alle Beteiligten sehr herausfordernd ist. Umso wichtiger ist deshalb, weitere Forschung durchzuführen und Praxiserfahrungen zu sammeln, diese miteinander zu verbinden und die bestehenden Herausforderungen anzugehen.